Leseprobe

EINFÜHRUNG

Die Geburt der Dynamis

Am Anfang aller Dinge legte die Göttin Schwarzgeflügelte Nacht2 ein silbernes Ei3 in den Schoß der Dunkelheit. In einer Sphäre jenseits von Raum und Zeit brütete ihr, dem Chaos innewohnender Wille, Eros aus, die schöpferische Antriebskraft des Universums. Eros entschlüpfte zweigeschlechtlich und goldgeflügelt dem Ei und setzte das All in Bewegung.

Vom Beginn an wohnten ihm zwei gegensätzliche Kräfte inne, die letztlich zur Entwicklung der beiden Geschlechter führten. Hat sich diese Trennung vollzogen, so bleibt in beiden Teilen die Triebkraft der Sehnsucht erhalten, läßt sie einander suchen, sich finden und wieder vereinigen.

Somit ist Eros ein der Urenergie innewohnender Wille zur Wiedervereinigung alles Getrennten, das nach Einheit strebt. Eros ist der intelligente kosmische Kitt, der unsichtbar waltend, auch noch über scheinbar weiteste Entfernungen hinweg, gedankenschnell Verbindungen herstellt und aufrechterhält. Und so offenbart sich uns urplötzlich: Die Dynamis Samuel Hahnemanns, entspringt einer Metamorphose des Eros. Oder anders gesagt: Eros ist nichts anderes als die Dynamis, jener Treibstoff alles Lebendigen, der nach seinen eigenen nicht un-moralischen aber amoralischen Gesetzen handelt, jenseits der eingetrübten und höchst beschränkten Sichtweise menschlichen „Ur-teils-Vermögens“.

Die alten Griechen nannten Eros auch Phanes, - den „Offenbarer“ und sahen in ihm eine laut summende himmlische Biene. Im Bienenstock glaubte man die ideale Staatsform zu erkennen und so wurde Phanes zum Gleichnis für den Mythos des Goldenen Zeitalters, in welchem die Naturreiche noch miteinander verbunden waren und der Honig von den Bäumen tropfte.4 Die in dieser Zeit lebenden Menschen mußten nicht arbeiten. Sie ernährten sich von wilden Früchten und dem die Essenz des Lebens enthaltenden Honig sowie von der Milch der Schafe und Ziegen. Wenn in der Bibel von dem Land gesprochen wird, in welchem Milch und Honig fließen, so ist das eine Anspielung auf jene im Dämmer des Mythos versunkene Urzeit.5

Die Seelen dieser Menschen waren Hüter des Glücks und der „Ge-rechtig-keit“, - diese, hier noch verstanden als das Wissen um den rechten Fluß des den Kosmos durch–waltenden Willens des Schöpfers, dem man sich wortlos fügte. Es war die sogenannte Goldene Rasse, der dann in stetigem Abstieg die Silberne - ,die Bronzene - und schließlich die Eisen-Rasse unserer Tage folgte, welche bis auf den heutigen Tag, in immer noch zunehmendem Maße, ihres einstmals magischen Wissens verlustig ging und nun einer gegenseitigen Ausbeutung huldigt, von dem Glauben umfangen, im täglichen Kampf ums Dasein, anders nicht überleben zu können. So verloren die Menschen mehr und mehr den Respekt vor der natürlichen Schöpfungsordnung und wurden auf weiten Strecken grausam, böswillig, und verräterisch. Entsprechend schwierig scheint es derzeit zu sein, sich aus dem Lehm der Anhaftungen an die Welt der Materie zu befreien.

Was moderne Physiker gerade erst zu erkennen beginnen: der mystische Naturforscher Friedrich von Hardenberg,6 besser bekannt unter seinem Dichternamen Novalis, wußte um die hinter den äußeren Erscheinungen waltenden Geistkräfte und ihre Wechelbeziehungen untereinander und mit dem Weltganzen, bis hin zu den entferntesten Regionen unseres Kosmos. Seine Dichtung stellt ein einziges heilsames Homoion dar, ein Gleichnis, in dem die Dinge in ihrer magischen Wesensverwandtschaft erkannt und dem einheitlichen Urgrund des Goldenen Zeitalters wieder zugeordnet werden.

Diejenigen, welche die magische Einheit mit den Naturreichen wieder herzustellen bestrebt sind, müssen sich bemühen „echte Physiker“ zu werden, die das Kindhafte im Gegenüber entdecken können und dieses zu potenzieren verstehen.

In seiner Parabel Die Lehrlinge von Sais (1798), liefert Novalis uns das Selbstportrait des nach ewiger Wahrheit Suchenden, der den Schleier der Isis im Tempel zu Sais hebt, um darunter - Wunder über Wunder - sich selbst zu erkennen.

Das magische Bindeglied zwischen der Welt der Götter und der irdischen Welt, stellt der Künstler dar, welcher die Signaturen der Natur aus einer liebenden Versenkung heraus deuten kann und diese Zeichen einer längst vergessenen Sprache, denen die da hören wollen, wieder beibringt.

So erkennt der im ganzheitlichen Denken geschulte Jünger Hahnemanns, in der Dichtung dieses Frühvollendeten, die geglückte Synthese zwischen naturwissenschaftlicher Betrachtungsweise einerseits und vergeistigter Schau der Phänomene dieser Welt andererseits: Vom Eros seiner Liebe zu der frühverstorbenen Sophie von Kühn getrieben, enthüllt uns Novalis die Vision der Wiedererweckung des Goldenen Zeitalters im Licht einer göttlichen Homöopathie. Nicht zufällig schrieb er an seinen Lehrlingen von Sais, und dem Einweihungsroman Heinrich von Ofterdingen zu einer Zeit, als die Erstausgabe von Samuel Hahnemann’s Organon der Heilkunst gerade erst erschienen war.

Es ist auch die Sehnsucht nach der völkerverbindenen „heiligen Sprache“, welche die Suchenden in der Erzählung von den Jünglingen vorantreibt; jene Ur-Sprache, wie sie vor dem Sturz in das „babylonische Sprachengewirr“ die menschliche Rasse einte und wie sie nur wieder zu erlangen sein wird, wenn wir uns liebend einander ähnlich machen. Das kann geschehen durch Übung der Gemüts-und Seelenkräfte.

Heute ist der sonnenstürmende, beflügelnde Eros auf weiten Strecken beleidigt. Das Gold seiner Flügel hat stark gelitten. Die Schwingen selbst sind ihm gestutzt, sodaß ihm bisweilen schon Flugunfähigkeit droht. Zwar verschießt er nach wie vor seine Pfeile. Aber immer weniger oft glänzen ihre goldenen Spitzen in der Sonne. Immer öfter scheinen sie stattdessen bewehrt mit stumpfen bleiernen Enden, wie jene, die er einstmals der Daphne ins Herz jagte, damit sie stumpf würde, gegenüber dem Liebeswerben des Apoll. Krankheiten und Seuchen sind die Folge. Aber nicht nur das. Schon jetzt scheinen statistische Erhebungen zu belegen, daß die zeugungsfähigen Spermien im Ejakulat von Männern der Industriestaaten auf weniger als die Hälfte zurückgegangen sind, wobei Ausnahmen die Regel bestätigen. Wenn das so weiter geht, brauchen wir uns schon von dieser Seite her keine Gedanken mehr um eine mögliche Überbevölkerung auf unserer Erde machen.

Betrachten wir unvoreingenommen, was dem menschlichen Organismus in besserwisserischer Manier an Hormonen, antibiotischen Mitteln, Pestziden und anderen Chemikalien zugemutet wird, so mögen derlei Nachrichten vielleicht noch einen, sich an rein materialistischen Denkschienen orientierenden Naturwissenschaftler in Erstaunen versetzen. Der darüber hinaus in geisteswissenschaftlichen Kategorien denkende Ganzheitsmediziner wundert sich schon lange nicht mehr.

Aber es finden sich Ansätze zu einer Umkehr. Die Menschheit beginnt zu erwachen. Um dem geknickten Eros zu einem Satz neuer Flügel zu verhelfen, wird in Zukunft der Homoeopathia divina -, der „Göttlichen Homöopathie“-, ein nicht unbeträchtlicher Anteil zukommen.

Das kosmische Heilgesetz vom Ähnlichen, das sein ihm Ähnliches zu heilen imstande ist, ist seinem Wesen nach so alt wie das Universum. Soweit wir das zurückverfolgen können, sind Anfänge dieser Erkenntnis im Abendland erstmals bei Hiippokrates (etwa 460-377 v.Chr.) auf der griechischen Insel Kos, feststellbar. Sodann hat sich dieses Gesetz der große mittelalterliche Arzt Paracelsus (1493-1541) zunutze gemacht, der seine vergeistigten Arzneien auf alchymistische Weise bereitete.

Seit ihrer Neugeburt vor 200 Jahren, durch ihren eigentlichen Begründer, den Arzt und Chemiker Samuel Hahnemann (1755-1843), befindet sich diese Homöopathie nun auf einem stetig voranschreitenden Siegeszug auf der via regia der Medizinkunst des nächsten Jahrtausends, denn: „Die Ideen des Künstlers erregen ähnliche Ideen seines Lehrlings, wenn ihn die Natur mit einer ähnlichen Proportion der Gemütskräfte versehen hat“.7

So entsteht vor unserem geistigen Auge allmählich eine neue Vision. Es ist dies nicht nur die Vision eines sich ergänzenden Miteinanders von Lehrmedizin und Homöopathie, es ist die HOMÖO-VISION schlechthin: Ein Zeitalter in dem die Menschheit ihre Ähnlichkeit mit dem Göttlichen wieder entdecken wird.

Dieses Buch stellt einen Versuch dar, mit dem mir zur Verfügung gestellten Potential an Begabung, Wissen, und durch stete Bemühung erworbenem Können sowie persönlich erarbeiteten finanziellen Mitteln, ein klein wenig dazu beizutragen, daß es auf dieser Welt vielleicht wieder etwas lichter werden möge und daß der eine oder andere meiner Leser, um ein geringes achtsamer und toleranter, fröhlicher und liebenswerter werden und sich dadurch seiner Gott-Ähnlichkeit wieder erinnern möge.

 

MITLEID UND BARMHERZIGKEIT

ICH BIN
nicht dein Mit-Leid,
denn ICH leide nicht
und das würde dir auch nicht helfen,
denn wozu wäre ein leidender Gott dir nütze?

ICH BIN
die Zerstörung deines Mit-Leidens,
denn dein Mitleid selbst ist zerstörerisch.
Es zerstört dich
und es stört den Bemitleideten
in seiner Selbstfindung.

ICH BIN
mitleid-los, denn ich SELBST
habe Leiden los-gelassen.
Aber ICH BIN Barmherzigkeit und Erbarmen.

ICH BIN
die Pflege deines Herzens.
Ich kümmere mich um dich, -
aber ICH BIN nicht dein Kummer.
ICH ver-sorge dich,
aber ICH BIN nicht deine Sorge,
noch BIN ICH deine Kränkung oder Krankheit.

ICH BIN
Leben, Licht und Liebe,
Wille, Weg und Wahrheit,
Friede, Freude, Freiheit

und das alles in dir:

Das ist MEINE Barmherzigkeit.

 

CAUSTICUM - der Ätzstoff Hahnemanns

„So seid mir gewarnt vor dem Mitleiden: d a h e r kommt noch den Menschen eine schwere Wolke! Wahrlich, ich verstehe mich auf Wetterzeichen!

Friedrich Nietzsche

(Also sprach Zarathustra)

Diese Kunstschöpfung Hahnemann’s ist zutiefst verbunden mit Erlebniswelten und Gefühlsqualitäten von Erstarrung, Tod, Fegefeuer, brennendem Schmerz, Leid und „Ausgelaugt-Sein“.

Versuchen wir zunächst ein wenig in die innere Signatur dieses Heilstoffes einzudringen so müssen wir uns folgendes vor Augen halten:

Der Ausgangsstoff für die Herstellung dieser Arznei ist Marmor aus Carrara. Dieser besteht aus der über Jahrmillionen hin metamorphisierten Fauna der Urmeere, samt der Fülle der bei deren Absterben anfallenden Kalkpanzern. Dementsprechend ist seinen Atomen die Erfahrung von millionenfachem Tod eingeprägt.

Um den Ausgangsstoff für die Potenzierung zu gewinnen, erleidet der pulverisierte Marmor darüber hinaus noch eine spezielle Prozedur des Brennens und Löschens, wobei unter anderem auch eine Lauge entsteht, welche letztendlich dann destilliert wird. Beim anschließenden Potenzierungsprozeß werden nun deren geistige Prägemuster noch weiter aus ihrer Stofflichkeit befreit und können entsprechend dem Analogieprinzip zum Löschen ähnlicher psychischer Muster und ihrer physischen Ausprägungen beim Menschen eingesetzt werden.

So sind also Leid und „Mit-Leiden“ zentrale Themen von Causticum. Ein Causticum-Charakter opfert sich für andere auf. Es gleicht - zumindest aus dieser Sicht - einer Art „Mutter Theresa“ unter den homöopathischen Mitteln.

Einem unterbewußten Trieb nachgebend, folgen Menschen oft dem homöopathischen Grundgesetz und leben etwas, das sie überwinden wollen, in übersteigerter Form aus. So kann der geschulte Beobachter mitunter bereits durch das äußere Erscheinungsbild eines Mitmenschen auf Causticum hingewiesen werden. Solch eine Persönlichkeit - so sie denn in Reinkultur überhaupt vorkommt -, kann durch grau-beige oder gar marmorierte Kleidung auffallen. Nicht zufällig findet Marmor eine Hauptverwendung in Form von Grabsteinen auf Friedhöfen.

Menschen die darüber hinaus ein wenig ausgezehrt und wie vertrocknet erscheinen, liefern weitere Hinweise auf dieses Mittel. Wenn sie nun gar noch von einer chronischen Heiserkeit, brennenden Hautaffektionen und unwillkürlichem Harnabgang beim Husten oder Niesen geplagt werden, darf mit Sicherheit von einer hervorragenden Wirkung dieser tiefgründigen Arznei ausgegangen werden.

Die Hautfarbe von Causticum ist fahl, von einem etwas schmutzigen Grau-weiß. Eine leicht marmorierte Gesichtshaut mit bläulichen Säumen am Rande der Unterlippe mag ebenfalls ein Hinweis sein. Es entsteht ein Eindruck von frühzeitiger Erstarrung durch nichtüberwundene Kümmernisse und Kränkungen und man spricht dabei auch von einem „versteinerten Herzen“. Die vom griechischen Göttervater Zeus in eine Statue verwandelte Niobe ist ein Sinnbild für diese Versteinerung aus Schmerz.8

Eine Unterdrückung von Wirkkräften führt immer zu einem Verlust an Lebendigkeit. Wenn also „das Wirkende“ vom Bewußtsein nicht verkraftet wird, gerät ein Organismus in Erstarrung. In unserer Realitätsebene finden wir solche Menschen des öfteren in Altersheimen in einer Atmosphäre von seniler Lähmigkeit, körperlichem Verfall und allgemeiner Depression, die zussätzlich von einem Hadern mit dem Schicksal gekennzeichnet ist. Die Einnahme von Causticum kann in solchen Fällen inneren Frieden und eine Aussöhnung mit dem selbsterschaffenen Schicksal bringen.

Wenden wir uns als nächstem Charakteristicum dem Brenn-und Löschvorgang zu: Hier erleben wir, wie schon angedeutet, die reinigende Kraft des Fegefeuers auf der einen Seite und die erlösende Milde göttlicher Gnade auf der anderen.

Das unbewußte Märtyrertum, dieses ständige „In -der-Wunde-des-Anderen-Sein“, führt zu brennendem Seelenschmerz, welcher seine Signale an dafür typische Stellen des Körpers entsendet: an die Haut, in Form brennend-ätzender Ausschläge, (er will „aus der Haut fahren“), an die Luftröhre, in Form eines rohen wunden Gefühls (ihm „bleibt die Luft weg“), an die Zunge in Form einer Lähmung (es „verschlägt ihm die Stimme“,- genauer: er stottert) und an die Harnblase, die den inneren Druck ausgleicht, indem sie sich häufig unwillkürlich entleert (z.B. bei Kindern, die ähnlich Acidum-phosphoricum zum Bettnässen im ersten Schlaf neigen).

Diese Trias von Laryngitis,Urethritis und Ekzemen ist typisch für Causticum.

Gehen wir weiter zur Lauge: Ein charakteristisches Merkmal von Laugen sind ihre quellend-saugenden Eigenschaften. In diesem Punkt berührt sich unser Mittel mit gewissen Eigenschaften von Kalium-carbonicum. Im Gegensatz zum aktiven Angriff einer Säure ist der Angriff der Lauge versteckter und für den Organismus gefährlicher. Er ist gekennzeichnet durch Auszehrung, wie schon an dem Wort „ausgelaugt“ deutlich wird. Diese Prozesse gehen meist langsam und unbemerkt vonstatten und machen sich durch allmählich um sich greifende Lähmungen bemerkbar. So ist unsere Arznei ein tiefgreifendes Mittel, um aus psychischen und physischen Lähmungen zu erwecken. Es würde diesen Rahmen sprengen, die Fülle der klinischen Indikationen aufzuzählen. Der Begriff „Lähmung“ ist jedenfalls sehr weit zu fassen. Dabei kann eine Sprechhemmung, die sich durch Stottern bemerkbar macht, genauso gemeint sein, wie eine Sprachlähmung nach Schlaganfall oder eine Gesichtslähmung durch übermäßige Kälte.

Kommen wir schließlich noch zu den Eigenschaften eines Destillats, so wird deutlich, daß beim Vorgang des Destillierens, Wesentliches vom Unwesentlichen getrennt wird. Dieser Prozeß ist vergleichbar mit der fortschreitenden Läuterung und Bewußtwerdung eines Menschen im Verlauf vieler Erdenleben. Angelus silesius prägte den schönen Zweizeiler, der hierzu paßt:

„Mensch werde wesentlich, denn wenn die Welt vergeht,

dann fällt der Zufall fort, das Wesen das besteht.“

Vieles was dieses mächtige Mittel charakterisiert, ist unter dem, was zur Signatur gesagt wurde schon angeklungen. Die Symptomatik, welche nach Causticum verlangt, resultiert aus einer Thematik, die sich um Begriffe wie zehrendes Leid, Grausamkeit, Gerechtigkeitsfanatismus und Märtyrertum rankt, worunter in diesem Falle eine Aufopferung für andere oder ein übertriebenes Mitleiden gemeint ist. Es kann sich um Menschen handeln, die einen anderen bis zu seinem Ableben gepflegt haben, Menschen, die sofort mitweinen, wenn ein jemand weint, die alles verschenken was sie haben, die garnicht mehr wissen, was es heißt, eigene Wünsche zu haben. Sie sind von schlichtem Äußeren, unauffällig und bescheiden und handeln nach dem Motto: „Einer trage des anderen Last.“ Es ist, als wollten sie Sühne leisten für ein Verbrechen, von dem sie garnichts mehr wissen. Ihr innerster Wunsch richtet sich nach der Aufhebung allen Leids, verbunden mit dem Verlangen nach Verbrüderung aller Menschen.

Der Gerechtigkeitssinn von Causticum kann sich bis zum idealistischen Fanatismus eines Revoluzzers oder Anarchisten steigern. Solche Menschen gehen für andere auf die Barrikaden und es besteht dabei eine ausgeprägte Intoleranz gegenüber jeglicher Autorität oder sozialer Ungerechtigkeit. Unter dem Mantel äußerer Gefälligkeit und Einfühlsamkeit kann in Streßsituationen ein harter herausfordernder Kern zum Vorschein kommen. Streitsüchtige und rechthaberische Politiker oder Gewerkschaftsführer, die sich bei Debatten ereifern und nicht einlenken wollen, können zu diesem Typus zählen.

Ein Glaubensmuster, das sich am Leid als der allein die Evolution des Bewußtseins vorantreibenden Kraft orientiert, erwächst aus Erfahrungen die unter Umständen Jahrhunderte weit zurückreichen bis in die Zeit der Inquisition und Kreuzzüge.

Wir entdecken derlei Personen in dienenden Berufen, z.B. als Alten- und Krankenpfleger oder Diakonisse, als Mönch oder Nonne, als Sonderschullehrer, Familienhelfer, Telephonseelsorger, Tierschützer, Sozialarbeiter oder Psychotherapeuten. Man findet sie unter denen die gerne die Todesanzeigen in der Zeitung lesen genauso, wie unter extremen Pacifisten.

Mutter Theresa oder Elisabeth Kübler-Ross könnten als Beispiele herangezogen werden, um diesen Menschentyp näher zu kennzeichnen,- was natürlich nicht heißt, daß ausgerechnet diese beiden über Leitsymptome verfügen müssen, welche die Einnahme von Causticum rechtfertigen würden. Die „Sym-pathie“, das „In-der-Wunde-Sein“ geht unter Umständen - wie im Fall der Therese von Konnersreuth soweit, daß der Mitfühlende das Stigma des Bemitleideten übernimmt. In esoterischen Kreisen spricht man dann davon, daß hierbei „karma abgenommen“ oder übernommen wird.

Auch unter Behinderten finden sich häufig Menschen, die gut auf eine Behandlung mit dem Hahnemann’schen Ätzstoff ansprechen. Ob es sich dabei um Kinder handelt, die schielen oder stottern oder durch eine Hasenscharte verunziert sind, um Unfallopfer, die an Krücken laufen oder im Rollstuhl fahren, es sind auf jeden Fall Menschen, die von einem besonders harten Schicksal getroffen wurden und gleichsam wie verätzt wirken. Sie finden es entwürdigend, wenn sie bemitleidet werden oder verfallen im Gegenteil in Selbstmitleid und entwickeln ein besonders ausgeprägtes Verlangen nach Anerkennung und Sympathie. Ihre Rührseligkeit verhindert, daß sie Berichte im Fernsehen über das Elend auf der Erde und die in der Welt stattfindenden Greueltaten ertragen. Ähnlich geht es ihnen, wenn plötzlich Angehörige sterben. Anstatt den scheidenden Seelen, freudig über deren Erlösung, zum Abschied zu winken, verfallen sie in langanhaltenden Kummer, vergleichbar jener Trauer die nach Natrium muriaticum verlangt.

Wenn wir versuchen, Analogien im Märchen oder der Literatur zu entdecken, so landen wir z.B. bei der Geschichte Vom alten Mütterchen oder dem Märchen vom Gevatter Tod oder dem Totenhemdchen. Auch in der Geschichte vom häßlichen Entlein sind Ansätze verborgen, die einen Vergleich mit unserem Heilmittel zulassen. Konstantin Wecker schreibt Lieder, in denen die „Causticum-Thematikanklingt. Der von einer fortschreitenden Paralyse erfaßte kleine Junge in dem Spielfilm Lorenzos Öl gibt zu Überlegungen Anlaß, die in Richtung unseres Mittels deuten.

Am intensivsten wird das Thema Fegefeuer und Läuterung natürlich in Dantes Göttlicher Komödie angeschlagen.

Der Genuß am Leid kann mitunter zu masochistischen Praktiken wie Geiselung und dem Wunsch nach Analverkehr führen. Überhaupt scheint die Lebenskraft unter dem Einfluß auslaugender Erfahrungen zu pervertieren, sodaß vor allem ältere Männer Probleme mit ihrer Sexualität bekommen und ein starkes Verlangen nach minderjährigen Mädchen entwickeln. Es wird davon gesprochen, daß die Dunkelziffer der Väter, die ihre heranwachsenden Töchter mißbrauchen ungemein hoch ist. Viele davon würden sicherlich in mancherlei Hinsicht von einer Behandlung mit unserem Mittel profitieren, doch müßte das ihrem eigenen Wunsch nach Veränderung entsprechen. Der große französische Homöopath Jean Pierre Gallavardin9 hat in solchen und ähnlichen Fällen den Angehörigen immer wieder einmal empfohlen, den Betreffenden wie auch den Betroffenen, homöopathische Globuli heimlich zu verabfolgen. Ich halte diese Vorgehensweise aus verschiedenen Gründen für fragwürdig, jedoch muß sich jeder seine Meinung hierüber selbst bilden.

 

 


1Auch dem zweiten Band dieser Reihe Homöothek(R), meinem Werk EROS UND SEXUELLE ENERGIE DURCH HOMÖOPATHIE, kann der interessierte Leser weitere detaillierte Beschreibungen der Charakterzüge vieler homöopathischer Arzneien entnehmen.

2 Gemeint ist Aphrodite. Ihr waren viele Namen zueigen , welche die hinter ihrer äußeren Schönheit versteckte dunkle, nächtliche Seite betonen. So nannte man sie auch Melainis = „Die Schwarze“ oder Skotia = „Die Dunkle“, ja sogar Androphonos = „Die Männertöterin.“

3 Eine Anspielung auf den Mond.

4 Noch heute können wir im Museum von Delphi den Omphalos = „Nabel der Welt“, in Gestalt eines etwa 70 cm hohen steinernen Bienenkorbs, betrachten. Dieser stand ursprünglich in der Nähe der Delphischen Orakelstätte, dem Reich der weissagenden Pythia und des Apollon.

5 Vergl. das Kapitel über SEHNSUCHT und OPIUM.

6 1772 - 1801

7 Immanuel Kant: Kritik der ästhetischen Urteilskraft (1790), in Kant Werke in 6 Bdn. Hrsg. v. Wilhelm Weischedel, Bd. V, § 47, S.409, Darmstadt 1983.

8Niobe hatte sich in überheblicher Weise gegenüber Leto ob ihrer zwei mal sieben Kinder gebrüstet. Die gekränkte Leto rief daraufhin Artemis und Apollo an, welche Niobes Kinder bis auf eines töteten. Göttervater Zeus , von Mitleid über Niobes Schmerz bewegt, verwandelte sie in unempfindsamen Stein. Nur zur Sommerzeit lösen sich aus den versteinerten Augen Niobes symbolisch die erlösenden Reuetränen.

9Gallavardin, J.P.: Homöopathische Beeinflussung von Charakter, Trunksucht und Sexualtrieb, 8.Aufl. 1991, Haug-Verlag, Heidelberg.